Beim Abendmahl empfangen wir in und mit dem Brot und dem Wein zugleich Christi Leib und Blut, d.h. wir empfangen ihn selbst und das Heil, das er durch sein Leben, Sterben und Auferstehen für uns erworben hat. Wie Christus dabei Gastgeber und Speise zugleich sein kann, werden wir nie restlos verstehen. Dass er es aber ist, ist wunderbar: Christus legt all seine heilvolle Macht in dieses Mahl hinein, damit sie auf uns übergeht und uns mit ihm und untereinander zu engster Gemeinschaft verbindet.    

Christi reale Präsenz in Brot und Wein

Wie ist das gemeint mit Leib und Blut?


Das Abendmahl ist eine ehrenvolle Einladung zum Essen


Als Jesus durch Palästina zog, erregte er oft Ärgernis, weil er bei Menschen einkehrte, die allgemein verachtet wurden (Mt 9,9–13). Jesus wandte sich denen zu, mit denen niemand an einem Tisch sitzen wollte, er aß mit denen, die nicht gesellschaftsfähig waren. Die „besseren“ Leute fanden das zwar höchst anstößig. Aber für die Betroffenen war es eine Ehre und ein unerwartetes Zeichen der Hoffnung. Denn wenn Gottes Sohn sich nicht zu schade ist, mit ihnen gemeinsam zu essen, dann zeigte er ihnen damit, dass sie bei Gott nicht abgeschrieben und nicht aufgegeben sind. Auch wir empfangen dieses freundliche Zeichen, wenn wir im Gottesdienst am Abendmahl teilnehmen. Denn diese Feier ist die direkte Fortsetzung der Mahlgemeinschaft Jesu mit seinen Anhängern. Zwar sind auch wir der Gemeinschaft Gottes nicht würdig und müssten eigentlich sagen: „Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst...“ (Mt 8,8). Aber wie damals, so überwindet Gott auch heute, was die Menschen von ihm trennt. Wie sehr wir auch hinter unseren Zielen zurückbleiben – Gott hält uns einen Stuhl an seinem Tisch frei und lädt uns ein: „Kommt, denn es ist alles bereit. Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist!“. Eine großzügige Einladung ist das. Aber das Abendmahl ist natürlich noch viel mehr:


Das Abendmahl ist ein von Jesus umgedeutetes Passahmahl


Das erste eigentliche Abendmahl hat Jesus mit seinen Jüngern gefeiert, als seine Gefangennahme und Kreuzigung kurz bevorstanden. Es war nicht irgendein Abendessen, sondern das traditionelle jüdische Passahmahl. Und darum war klar, woran die Jünger dachten, als sie am Tisch saßen: Die Juden erinnern sich beim Passahfest des Auszuges des Volkes Israel aus Ägypten. Lange hatte sich der Pharao geweigert, das Volk gehen zu lassen. Dann aber kam die zehnte Plage: Gottes Engel tötete in jedem Haus in Ägypten den erstgeborenen Sohn. Nur den Israeliten wurde ein Erkennungszeichen zu ihrem Schutz gegeben: Anstelle des erstgeborenen Sohnes sollte bei ihnen ein Lamm sein Leben lassen. Es wurde geschlachtet – es starb stellvertretend – und mit seinem Blut wurden die Türpfosten bestrichen. Gottes Todesengel erkannte an diesem Zeichen die Häuser der Israeliten und ging vorbei. Nach dieser zehnten Plage kamen die Israeliten endlich frei aus der ägyptischen Sklaverei. Und seither begehen sie jährlich das Passahfest mit einem feierlichen Passahmahl. Auch Jesus feierte mit seinen Jüngern so ein Mahl – am letzten Abend vor seiner Kreuzigung. Doch er gab dem Geschehen eine neue Deutung: „Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.“ (Mt 26,26–28) Jesus gibt damit seinen Jüngern zu verstehen: „Ich, Jesus, bin euer neues Passahlamm. Wie damals in Ägypten das Lamm sein Leben ließ, damit das Volk Gottes verschont blieb und befreit wurde, so sterbe jetzt auch ich, damit ihr verschont bleibt und befreit werdet. Wie damals das Blut des Lammes Erkennungszeichen und Schutz für das Volk Gottes war, so soll künftig das Abendmahl für euch Erkennungszeichen und Schutz sein, nämlich Unterpfand eines neuen Bundes und Mittel zu eurer Erlösung.“ Die Jünger Jesu wunderten sich damals – und wir tun es noch heute: Wie können ein Schlückchen Wein und ein Bissen Brot so gewaltige Macht haben?


Das Abendmahl ist ein geheimnisvolles Lebensmittel für die Seele


Die Worte, durch die Jesus das Abendmahl stiftete, erklären die besondere Macht des Sakraments: Jesus Christus ist bei dieser Mahlzeit nicht nur unser Gastgeber, er selbst ist auch die „Speise“, die wir bei seinem Gastmahl in der Gestalt von Brot und Wein empfangen. Das ist freilich ein höchst seltsamer Gedanke, der schon viele verwirrt hat („Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben?“ Joh 6,52). Die Theologen aller Zeiten haben versucht, dies begreiflich zu machen, sind aber über das rechte Verständnis bis heute nicht einig: Die einen lehren, Brot und Wein würden beim Abendmahl dergestalt in Leib und Blut Christi verwandelt, dass die Elemente nur noch die äußeren Eigenschaften von Brot und Wein behielten, in Wirklichkeit aber nicht mehr Brot und Wein seien – sie bleiben demgemäß auch nach der Abendmahlsfeier Leib und Blut Christi (katholische Lehre). Andere dagegen sind überzeugt, dass sich an der Substanz von Brot und Wein überhaupt nichts ändert. Die Abendmahlselemente sind für sie nichts weiter als äußere Zeichen und Sinnbilder für das, was der Glaube innerlich vom Heiligen Geist empfängt. Wer den Glauben nicht hat, empfängt also beim Abendmahl nichts weiter als gewöhnliches Brot und Wein (reformierte Lehre). Die dritte Gruppe schließlich vertritt, dass zwar Brot und Wein substanziell bleiben, was sie sind, dass zugleich aber „in, mit und unter“ diesen Elementen Christi Leib und Blut real präsent sind und leiblich gegessen und getrunken werden – auch von denen, die nicht glauben (lutherische Lehre). Die zuletzt genannte Auffassung entspricht meines Erachtens der Intention Jesu am besten. Denn als er seinen Jüngern Brot und Wein reichte, sagte er damit: „Das bin ich – für euch gegeben, dass ihr daran Gemeinschaft habt mit mir, mit Gott dem Vater und untereinander. Mich selbst, meinen Segen, meine ganze heilvolle Macht lege ich in diese Speise hinein, damit sie auf euch übergeht, wenn ihr esst und trinkt.“ Wie dieses „hineinlegen“ geschieht, bleibt natürlich ein Geheimnis. Niemals wird ein Lebensmittelchemiker nachweisen können, dass eine Wandlung von Brot und Wein geschieht, wenn der Pfarrer die Einsetzungsworte darüber spricht. Dass sie aber geschieht – ganz real und nicht „bloß symbolisch“! –, das ist wunderbar. Denn so können wir in und mit dem Brot und dem Wein Christus selbst empfangen und zugleich das, was er durch sein Leben, Sterben und Auferstehen für uns erworben hat: Die Vergebung unserer Schuld, die herrliche Freiheit der Kinder Gottes und das ewige Leben.


Das Abendmahl ist Gottes Entgegenkommen in die Reichweite unserer Sinne


Manch einer hat schon gefragt, warum Gott uns das alles gerade durch eine Mahlzeit zukommen lässt. Ginge es nicht auch ohne Brot und Wein, einfach durch den Glauben? Gewiss ginge es – aber Gott weiß um die Schwäche unseres Glaubens. Er weiß, dass wir Sinnenwesen sind, die Schwierigkeiten haben, etwas für wirklich zu halten, das sie nicht sehen und anfassen können. Darum passt Gott sich unserem Auffassungsvermögen an. So war das schon in Bethlehem, als Gott Mensch wurde: Der unfassliche und unbegreifliche Gott wurde einer Unseresgleichen und nahm die Gestalt eines Menschen an, um für uns fasslich und begreiflich zu werden. Und dieses Entgegenkommen in die irdischen Niederungen und in die Reichweite unserer Sinnesorgane setzt sich im Abendmahl fort. Weil unser Geist oft zu schwach ist, um Gottes Wort zu fassen und festzuhalten, kleidet Gott es in die fassbare, sichtbare und schmeckbare Gestalt von Brot und Wein. So liebevoll ist Gott: Um uns nahe zu sein, ist er sich nicht zu schade, sich in Bethlehem in eine Futterkrippe zu legen – und er schreckt nicht einmal vor unserem Magen zurück!


Das Abendmahl ist vollkommene Gemeinschaft

mit Gott und den Glaubensgeschwistern


Das Abendmahl ist nicht bloß eine Sache zwischen dem Einzelnen und Gott. Wie im Glauben die Gottesliebe und die Nächstenliebe nicht zu trennen sind, so gehört auch beim Abendmahl die Gemeinschaft mit Gott und die Gemeinschaft mit den Glaubensgeschwistern zusammen. Die „Kommunion“ hat also eine vertikale und eine horizontale Dimension: Die Teilnahme am Abendmahl verbindet uns mit Christus, der über uns ist, sie verbindet uns zugleich aber auch mit den Brüdern und Schwestern, die am Altar neben uns stehen – und das eine ist nicht ohne das andere denkbar. Schließlich ist Christus das Haupt, und alle Christen sind Glieder seines Leibes, der Kirche. „Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist's: So sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.“ (1.Kor 10,16–17). Was wäre das aber für ein Leib, in dem sich die verschiedenen Glieder und Organe miteinander stritten? Die enge Verbindung, die das Abendmahl stiftet, wird zerstört, wenn die „Gäste“ einander nicht so annehmen, wie der „Gastgeber“ sie angenommen hat (vgl. Röm 15,7). Darum sollte man nicht zum Abendmahl gehen, wenn man mit einem Mitchristen in unversöhntem Streit liegt, sondern sollte die Sache vorher bereinigen (vgl. Mt 5,23–24). Gibt es noch mehr, was man bedenken sollte, bevor man zum Abendmahl geht? Ja!


Das Abendmahl ist nicht für jeden, aber für alle, die wissen, dass sie es nötig haben


Aus dem Gesagten ergibt sich schon, dass das Abendmahl für die Glieder des Leibes Christi bestimmt ist, also für Menschen, die durch die Taufe Glieder seiner Kirche geworden sind und sich auch dazu bekennen. Wenn andere (Nicht-Christen und aus der Kirche Ausgetretene) vom Abendmahl ausgeschlossen bleiben, geschieht dies nicht, um ihnen etwas vorzuenthalten, sondern zu ihrem Schutz. Denn das Abendmahl ist heilig, das Heilige aber ist eine große Kraft und Energie (wie eine Hochspannungsleitung etwa). Wer damit umzugehen weiß, dem nützt diese Kraft. Aber wer sich ihr leichtfertig nähert, kann Schaden davontragen. Nicht umsonst warnt uns das Neue Testament davor, „unwürdig“ am Abendmahl teilzunehmen (vgl. 1.Kor 11,27–29). Es ist aber wichtig, diesen Begriff richtig zu verstehen. „Unwürdig“ sind nämlich nicht die Fehlbaren und Unvollkommenen, die Kleingläubigen und Sünder (gerade zu deren Trost ist das Abendmahl gegeben!). „Unwürdig“ sind vielmehr die, die nicht wirklich Gemeinschaft mit Gott und Vergebung ihrer Schuld suchen, sondern von irgendwelchen anderen Motiven getrieben werden, am Abendmahl teilzunehmen (z.B. bloß aus Gewohnheit oder „weil die anderen ja auch gehen“). Soll man also, damit es nicht zur bloßen Gewohnheit wird, möglichst selten zum Abendmahl gehen? Nein. Vielmehr sollten wir davon ausgehen, dass es sich beim Abendmahl so verhält, wie bei jeder anderen Einladung zum Essen: Wer des Öfteren freundlich eingeladen wird, die Einladung aber selten oder nie annimmt, stößt damit den Gastgeber vor den Kopf. Das mag manchmal etwas mit der Ehrfurcht vor dem Sakrament zu tun haben. Und die ist durchaus angebracht. Sie sollte uns aber nicht abschrecken, sondern gerade locken, fröhlich an dem heiligen Mahl teilzuhaben. Schließlich sorgen wir ständig für irgendetwas: Für unser Einkommen, für unsere Gesundheit, für unseren guten Ruf und für unser Auto. Da sollten wir nicht vergessen, ab und zu auch für unsere Seele zu sorgen – und zwar öfter als einmal im Jahr...


Das Abendmahl hat Vorzüge, die es unentbehrlich machen


Manche Christen empfinden das Abendmahl als eine unnötige Doppelung, weil es ja kein anders Heil und keine andere Gnade vermittelt als der Glaube auch. Es gibt da scheinbar nichts, was man nicht auch anders haben könnte! Denn: Habe ich durch den Glauben Vergebung, warum soll ich dann dasselbe noch einmal beim Abendmahl suchen? Bin ich durch den Glauben mit Christus verbunden, wozu brauche ich dann noch einmal dieselbe Verbundenheit im Abendmahl? Man hat den Eindruck, das Abendmahl könnte uns nichts schenken, was nicht auch auf anderem Wege gegeben ist. Und doch hat das Abendmahl drei besondere Vorzüge, insofern es das Heil individuell zueignet, insofern es leiblich und sinnlich erfahrbar ist, und darüber hinaus eine faktische, unzweifelhafte Geltung besitzt:


(1) Der erste dieser drei Punkte, die persönliche Zueignung, ist wichtiger als man denkt. Denn die Botschaft, die von der Kanzel gepredigt wird, richtet sich ja immer an die Vielen, die da sitzen, und nicht speziell an einen. Ob uns das Evangelium in Form eines Buches erreicht, im Radio, im Fernsehen oder bei einem Vortrag: In solchen Medien wird Evangelium immer per Gießkanne verteilt, immer gleich an viele, an jeden, der will, an niemand speziell. Und der Einzelne kann darum im Zweifel sein, ob er selbst überhaupt gemeint ist – oder vielleicht nur die anderen! Beim Abendmahl aber ist das anders. Denn da wird einem ganz persönlich das Brot in die Hand gegeben, dem Einzelnem wird die Gegenwart Christi zugesagt und seine Lippen trinken aus dem Kelch, so dass die Gaben in diesem Moment unzweifelhaft diesem konkreten Menschen gelten, und keinem anderen!


(2) Der zweite Vorzug des Abendmahles ist, dass es nicht nur den Verstand anspricht, sondern auch unsere Sinne, und dadurch unseren Körper in das Heilsgeschehen mit einbezieht. Das Abendmahl ist nicht verkopft, wie manche Predigt, es richtet sich nicht an den Intellekt, sondern an den Körper, und macht damit deutlich, dass Christus nicht etwa nur unseren Verstandesteil erlösen will, sondern den ganzen Menschen, nicht nur die Seele, sondern die ganze Person – und also auch den Leib.


(3) Schließlich hat das Abendmahl den dritten Vorzug, dass es Fakten schafft. Und diese Fakten sind tröstlicher Weise ganz unabhängig davon, ob sie gerade von frommen Gefühlen und guten Werken begleitet werden oder nicht. Ob ich entschieden genug glaube, ob ich meine Fehler wirklich bereue und Christus ganz vertraue – das sind seelische Vorgänge, die schwer zu prüfen sind und denen man misstrauen kann. Das Abendmahl aber ist (genau wie die Taufe) nicht mein Tun, sondern Gottes Tun. Und wenn ich am Abendmahl teilgenommen habe, dann ist das eine genauso unzweifelhafte Tatsache, wie das ich an einem bestimmten Tag in einer bestimmten Kirche getauft wurde. Dass Gott im Sakrament an mir gehandelt hat, ist hinterher ein Faktum, das niemand mehr ungeschehen macht, und auf das ich gerade dann bauen kann, wenn auf mein religiösen Gefühle kein Verlass ist.


Wer sich diese Vorzüge des Abendmahls vor Augen hält, wird keine überflüssige Verdoppelung mehr darin sehen. Denn der Glaube macht das Abendmahl genau so wenig entbehrlich, wie das Gespräch mit einem geliebten Menschen seine Umarmung überflüssig macht. Natürlich ist es derselbe Mensch und dieselbe gute Beziehung, die sich im Gespräch und in der Umarmung manifestiert. Aber es käme deshalb doch keiner auf die Idee, das Gespräch könnte die Umarmung ersetzen, oder die Umarmung das Gespräch, denn das eine ist mehr geistig, und das andere eher leiblich. Ebensowenig aber ersetzt der Glaube das Abendmahl, oder das Abendmahl den Glauben. Denn es ist zwar dieselbe Gottesbeziehung, die sich hier wir dort manifestiert, aber im Glauben ist sie mehr geistlich, und im Abendmahl eher leiblich. Es gibt zum Glück mehr als eine Weise, Gott nahe zu sein. Und ein Christ hat jede erdenklich Weise nötig, um durch die Nähe Gottes gestärkt zu werden…