An welchem Maßstab kann man das Gelingen eines Lebens bemessen? Da es Gott ist, der allem Leben Sinn und Ziel vorgibt, zählt letztlich nur sein Urteil. Gott aber fragt nicht, ob wir glücklich oder unglücklich sind, sondern er fragt allein danach, ob wir ihm vertrauen und damit die Hütte unseres Lebens auf den Fels des Glaubens bauen. Stimmt das Fundament, so muss unser Lebensgebäude kein Prachtbau sein – und wird den Sturm des Todes doch überstehen. Stimmt es aber nicht, ist auch das schönste Lebensgebäude auf Sand gebaut – und dem Untergang geweiht.
Wenn der Tod kommt, zieht er unter das gelebte Leben einen dicken, abschlies-senden Strich. Denn zu der Fülle des Guten und Bösen, des Schönen und Schweren in diesem Leben, tut danach niemand mehr etwas hinzu, und niemand nimmt mehr etwas davon weg. Mit dem Tod ist das Buch des Lebens geschlossen, die Bilanz ist gezogen. Und was ist es dann gewesen? Schon die Frage, woran man das bemessen soll, ist nicht leicht zu beantworten. Der eine wird vielleicht ganz oberflächlich auf die Länge des Lebens schauen und wird sagen: „Lange leben ist immer gut“. Aber ist ein kurzes Leben allemal ein schlechtes und missglücktes Leben? Der andere wird vielleicht versuchen, die Erfolge des Lebens gegen die Misserfolge aufzurechnen. Aber was ist ein Erfolg? Gehören auch die Siege dazu, die ein Mensch auf Kosten anderer errungen hat? Sollte man das Leben eines Menschen messen an den Träumen, die er sich erfüllen konnte? Aber was ist, wenn diese Träume ganz töricht waren? Sollte man da nicht besser versuchen, in der Lebensbilanz einfach glückliche und unglückliche Tage gegeneinander aufzurechnen? Doch was würden wir von einem Menschen halten, der zwar glücklich war, aber sein Leben lang zu nichts nütze? Sollten wir demnach lieber das Augenmerk auf Pflichterfüllung und Arbeitsleistung richten? Doch was helfen die Leistungen eines Lebens, wenn man ihren Ertrag doch am Ende nicht mitnehmen kann? Um es kurz zu machen: Der Versuch ein Leben zu bilanzieren, führt immer zu der Frage, welchen Maßstab wir zugrunde legen. Und um den rechten Maßstab zu benennen, muss man Sinn und Ziel des menschlichen Lebens kennen. Welches Ziel aber sollte das sein, wenn nicht das, das der Schöpfer seinem Geschöpf gesetzt hat? Wir kommen aus seiner Hand, wir sollen zurückkehren in seine Hand, und darüber, ob uns das gelingt, befindet Gott allein. Mit anderen Worten: Im Angesicht des Todes ist keiner der genannten Maßstäbe entscheidend. Es zählen dann nicht mehr Ehren und Verdienste. Es ist nicht mehr entscheidend, was andere Menschen über uns denken. Und es ist nicht einmal mehr entscheidend, was wir über uns selbst denken. Sondern da, kommt es nur noch darauf an, was Gott über uns denkt, und wie wir in Gottes Augen dastehen. Denn er spricht über uns das erste und das letzte Wort. Er gibt uns Sinn und Ziel. Bei ihm beginnt die Bahn unseres Lebens und vor seinem Richterstuhl endet sie wieder. Was aber dazwischen geschah, das muss sich messen lassen an seinen Plänen – und nicht an unseren. Denn Gott ist ein Richter, der Rechenschaft verlangt für all die uns geschenkten Jahre. Nicht wir ziehen also Bilanz. Sondern Gott tut es. Und nach welchem Maßstab er urteilt, daraus hat er kein Geheimnis gemacht. Denn die Heilige Schrift gibt uns darüber Auskunft. Wenn ein Leben endet, dann fragt Gott nicht danach, ob es ein nach irdisch-menschlichen Maßstäben „erfolgreiches“ Leben gewesen ist, oder ob’s „Spaß gemacht“ hat. Aber er fragt danach, ob der betreffende Mensch sich seinem Wort, und seiner Gnade geöffnet hat. Er teilt die Menschheit nicht ein in reich oder arm, klug oder dumm, glücklich oder unglücklich, erfolgreich oder gescheitert, angesehen oder verachtet. Aber er fragt nach dem Glauben, nach dem Gehorsam und dem Vertrauen, das ihm ein Mensch entgegenbringt. Und allein daran entscheidet sich das weitere Schicksal der Seele. Denn Jesus Christus spricht:
„Wer zu mir kommt, und hört meine Rede und tut sie – ich will euch zeigen, wem er gleicht. Er gleicht einem Menschen, der ein Haus baute, und grub tief und legte den Grund auf Fels. Als aber eine Wasserflut kam, da riss der Strom an dem Haus und konnte es nicht bewegen; denn es war gut gebaut. Wer aber hört und nicht tut, der gleicht einem Menschen, der ein Haus baute auf die Erde, ohne Grund zu legen; und der Strom riss an ihm, und es fiel gleich zusammen, und sein Einsturz war groß.“
(Lk 6,47-49)
Nun – das Bild ist so sprechend, dass es gar keiner Auslegung bedarf. Denn es setzt die Dinge ganz klar ins Verhältnis: Jesus bestreitet nicht, dass Vieles wichtig ist im Haus des Lebens. Gesundheit ist so wichtig wie die Mauern eines Hauses. Wohl-stand ist so wichtig wie das Dachgebälk. Freundschaft und familiärer Zusammenhalt sind so wichtig wie die Heizung im Haus. Jesus hat nichts gegen diese Dinge. Nur sind sie eben dem nichts nütze, der das Haus seines Lebens auf Sand gebaut hat. Denn seinem schönen Haus fehlt dann das Fundament, und der Sturm des Todes bläst es mit Leichtigkeit um. Die Warnung in diesem Bild wird wohl jeder verstehen. Doch liegt auch Trost darin, denn es gilt auch der umgekehrte Schluss: Es mag ein Leben nach irdischen Maßstäben erfolglos scheinen. Es mag viel zu kurz sein, voller Krankheit und Unglück, ohne Wohlstand, ohne Familie, ohne erkennbare Leistungen. Das Gebäude des Lebens mag offensichtliche Mängel haben an den Mauern, im Dachgebälk und im Inneren. Und doch wird dieses Haus im Sturm des Todes Bestand haben, wenn es auf Fels gebaut ist – wenn es nämlich auf Gottes Wort und auf die Gnade Jesu Christi aufbaut. So oder so zählt zuletzt nur noch das Fundament. Und ist dieses Fundament der Glaube, so müssen wir den Tod nicht aus unseren Gedanken verdrängen, sondern können ihm mit Zuversicht begegnen. Denn wo wir im Glauben leben und sterben, da lässt der barmherzige Gott uns nicht fallen. Für all unsere Schwäche setzt dann Christus seine Stärke ein, und für all unsere Schuld rechnet Christus seine Gerechtigkeit an. Gegen unseren Wankelmut hilft Christi Beharrlichkeit, und gegen unseren Kleinglauben setzt Christus sein Gebet. Über unsere Dummheiten siegt seine Weisheit, und über unseren Tod triumphiert seine Auferstehung. Sollten Christen da nicht fröhlich und zuversichtlich sein? Gewiss: Unser Lebensgebäude, ist in der Regel kein Prachtbau. Unser Lebens-gebäude gerät oft ganz anders und gerät viel schiefer, als wir es in der Jugend einmal planten. Aber das ist nicht entscheidend, wenn das Ganze nur auf gutem Fundament steht. Denn Gott fragt nicht nach unserem Versagen und auch nicht nach unseren Erfolgen, sondern er fragt allein danach, ob wir ihm vertrauen, ob wir also die Hütte unseres Lebens auf den Fels des Glaubens gebaut haben. Und haben wir das getan, so können wir dem Tod gelassen entgegensehen. Denn was er vermag, ist dann nicht mehr viel. Er vermag uns dann nur noch überzusiedeln in die himmlische Heimat, wo wir uns des ewigen Lebens viel mehr freuen werden als hier des irdischen. Denn dort ist die Schlacke des irdisch-gebrechlichen Lebens von uns abgetan, der Bann ist gelöst – und wir schauen mit eigenen Augen Gottes Licht…