GESANG

 

„Singet dem Herrn ein neues Lied“ ruft uns der Psalter immer wieder zu. Es ist das an jedem Morgen neue Christuslied, das die Hausgemeinschaft in der Frühe anstimmt, das neue Lied, das von der ganzen Gemeinde Gottes auf Erden und im Himmel gesungen wird und das wir mitzusingen berufen sind. Ein einziges großes Loblied hat Gott sich in Ewigkeit bereitet, und wer zur Gemeinde Gottes hinzutritt, der stimmt in dieses Lied mit ein. Es ist das „Loblied und Jauchzen der Morgensterne und aller Kinder Gottes“ vor Erschaffung der Welt (Hiob 38,7). Es ist das Siegeslied der Kinder Israel nach dem Durchzug durch das Rote Meer, das Magnifikat der Maria nach der Verkündigung, das Loblied des Paulus und Silas in der Nacht des Gefängnisses, das Lied der Sänger am gläsernen Meer nach ihrer Errettung, das „Lied Moses und des Lammes“ (Offbg. 15,3), es ist das neue Lied der himmlischen Gemeinde. Am Morgen jedes Tages stimmt die Gemeinde auf Erden in dieses Lied ein und des Abends beschließt sie den Tag mit diesem Lied. Der dreieinige Gott und sein Werk ist es, was hier gepriesen wird. Anders klingt dieses Lied auf Erden und anders im Himmel. Auf Erden ist es das Lied der Glaubenden, im Himmel das Lied der Schauenden, auf Erden ist es ein Lied in armen Menschenworten, im Himmel sind es „unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann“ (2. Kor. 12,4) (…). Das neue Lied wird zuerst im Herzen gesungen. Anders kann es gar nicht gesungen werden. Das Herz singt, weil es von Christus erfüllt ist. Darum ist alles Singen in der Gemeinde ein geistliches Ding. Hingabe an das Wort, Einordnung in die Gemeinschaft, viel Demut und viel Zucht ist die Voraussetzung alles gemeinsamen Singens. Wo das Herz nicht mitsingt, dort gibt es nur das greuliche Durcheinander menschlichen Selbstruhms. Wo nicht dem Herrn gesungen wird, dort singt man sich selbst oder der Musik zu Ehren. So wird das neue Lied zum Götzenlied (…). Je mehr wir singen, desto größer wird unsere Freude daran, aber vor allem je gesammelter, je zuchtvoller, je freudiger wir singen, desto reicher wird der Segen sein, der vom gemeinsamen Singen auf das gesamte Leben der Gemeinschaft ausgeht. Es ist die Stimme der Kirche, die im gemeinsamen Singen hörbar wird. Nicht ich singe, sondern die Kirche singt, aber ich darf als Glied der Kirche an ihrem Liede teilhaben. So muss alles rechte gemeinsame Singen dazu dienen, dass der geistliche Blick sich weitet, dass wir unsere kleine Gemeinschaft als Glied der großen Christenheit auf Erden erkennen, dass wir uns willig und freudig mit unserem schwachen oder guten Gesang einordnen in das Lied der Kirche.“ (Dietrich Bonhoeffer)